Von der Fremde zur Heimat

Am 1. Okt. hatte das Netzwerk "Idstein bleibt bunt" im Rahmen der Interkulturellen Woche zu einem ungewöhnlichen Spaziergang durch die Stadt Idstein geladen. 

Bei dem Rundgang mit der Stadtführerin und Flüchtlings­koordinatorin Silvia Faller wurde deutlich, dass die Bevölkerungszahl der Stadt über die Jahrhunderte immer auch durch Zuwanderung anderer Bevölkerungsgruppen angestiegen war. Einige der Zugezogenen haben nur ein paar Jahre oder Jahrzehnte hier gelebt und sind dann weitergezogen. Hiervon zeugen u.a. die Werke der Baumeister und Handwerker beim Schlossbau oder die Deckengemälde der Unionskirche, die Kunstmaler der Rubensschule schufen. 

Viele der einstmals Fremden sind aber im Idsteiner Land heimisch geworden. Besonders eindrucksvoll wird das an der großen Gruppe der Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich. 1984 schätze Bürgermeister Hermann Müller, dass die Heimatvertriebenen und deren Nachkommen 40 % der Idsteiner Bevölkerung ausmachten. Bei dem Stadtspaziergang wurde in dem Zusammenhang aber auch daran erinnert, dass die von Krieg und Flucht traumatisierten Menschen nicht überall willkommen waren. So forderten zum Beispiel die Idsteiner Stadtväter bei ihrer ersten Sitzung nach der Kommunalwahl im Februar 1946 vom Landrat »eine schriftliche Erklärung, dass Idstein keine Flüchtlinge zugewiesen erhält«. 

Erinnert wurde auch daran, dass die Nachkommen der nach dem dreißigjährigen Krieg im fast entvölkerten Idstein angesiedelten jüdischen Bürger während der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden. Gedacht wurde auch des Schicksals der Bewohner der Heilerziehungsanstalt Kalmenhof in der NS-Zeit. 1933 lebten 630 Zöglinge im Kalmenhof und stellten damit mehr als 20 Prozent der Idsteiner Bevölkerung. Wie viele Opfer genau die nationalsozialistische „Euthanasie“ am Kalmenhof forderte, ist nach wie vor ungeklärt. Auszugehen ist von einer Zahl zwischen 600 und 1000 Todesopfern.

Einige lange verbreitete Irrtümer – wie die der gezielte Ansiedlung hugonottischer Familien – konnten während des Spaziergangs berichtigt werden. Auf Interesse stieß auch ein Hinweis über die Zeit der französischen Besatzung von 1918 bis 1925. ”Ah, deshalb hieß es immer, dass bei der Großmutter Franzosen einquartiert waren“, konnte eine Idsteinerin Berichte aus ihrer Kindheit neu zuordnen.

Bei dem kurzweiligen Spaziergang bei schönstem Wetter kam die Gruppe einigen unbekannten Zeugnissen der jüngeren Vergangenheit ihrer Stadt auf die Spur. So wurde beispielsweise auch eine Baracke im Tiergarten aufgesucht. 1932 war sie laut Bauantrag eines Idsteiner Lederfabrikanten für osteuropäische Fremdarbeiter errichtet worden. Alte Idsteiner berichteten, dass sie während des Krieges zur Unterbringung von Zwangsarbeitern gedient habe und ab 1946 Flüchtlinge und Heimatvertriebene in der Barracke untergebracht worden seien. Später wohnten dort sogenannten Gastarbeiter. Noch Anfang der achtziger Jahre – so erinnerte sich Kerstin Meinhardt, eine der beiden Vorbereiterinnen, – war sie bei dort lebenden Familien aus der Türkei zum Tee eingeladen.

Unter den 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren übrigens nur 2 gebürtige Idsteiner – alle andere waren Zugezogene. Einige waren der Liebe wegen gekommen, andere wegen der Ausbildungsmöglichkeiten, die meisten aber waren der Arbeit gefolgt.

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